Ausweichen ist kein Zeichen von Schwäche

Auf einem unserer Spaziergänge (in einem Gebiet, wo Leinenpflicht besteht) hatten wir innerhalb von 30 Minuten an die 15 Hundebegegnungen. 
Bei den ersten 4-5 (mal welche mit und mal ohne Leine) dachte ich mir noch - "Ohhh wie schön, dann können wir das eben wieder einmal üben!". 
Wir hatten genug Raum um bei Bedarf ausweichen zu können und so lief ich schön und entspannt mit Jonny an den anderen Hunden vorbei.

Ich gebe gerne allen Beteiligten einer Begegnungssituation ihren wohlfühl Raum, denn jedes Lebewesen hat seine eigene Individualdistanz. Kennen wir das Gegenüber nicht - und wir müssen auch nicht jeden kennen lernen - nehme ich gerne etwas mehr Abstand, um so harmonisch mit meinem Buben vorbei schlendern zu können. Er kann sich immer darauf verlassen, dass ich ihn sicher von A nach B bringe und ihn dabei unterstütze sozial akzeptables Verhalten abliefern zu können.
Und Ja ich bin bekennender "an der Leine Geher". An der 10m Schleppleine kann Jonny trotzdem laufen, Briefchen lesen, seinen Freiraum genießen und ich muss auch nicht die ganze Zeit auf ihn achten - das entspannt ungemein. Normalerweise ...
Wir schlenderten also so dahin und zack kam ein weiterer freilaufender Hund und blieb mitten auf dem Weg stehen. Der Besitzer tat keine Anstalten den Hund zu sich zu rufen. Er ließ ihn einfach auf dem Weg stehen (dieser war ca. 2,5m breit) und spielte mit seinem Handy herum. Ich bat den Besitzer mir etwas Raum zu geben und seinen Hund zu sich rufen, worauf mich dieser anblaffte und sagte, ich solle doch "einfach" weitergehen - sein Hund tut nix! Ja der Hund hat uns tatsächlich körperlich nicht attackiert, das stimmt, aber er stand mittens auf dem Weg (es war ein großer Ridgeback Rüde) der uns klar mit seinem Ausdruck sagte: "Ihr kommt hier nicht vorbei!" Mir war es für uns zu eng und so wich ich in einem großen Bogen in die nasse Wiese aus...
Etwas sauer, wegen des rücksichtslosen Verhaltens gingen wir weiter. Ich wollte mich gerade von dem Stress abschütteln, da kamen nur wenige Meter später die nächsten freilaufenden Hunde daher, die sich eine Hetzjagd lieferten. 2 mittelgroße Hunde moppten einen kleinen. Jonny war in Bereitschaft, weil er meine Gedanken spürte... Ich sagte ihm ruhig: "Ist nicht unsere Kundschaft - wir gehen ruhig weiter!" Und so krabbelte ich über die Böschung hoch, um der tobenden Hunde Gruppe auszuweichen.
Auch hier riefen mir die Besitzer nach, dass ihre Hunde nichts tun. Und ob ich denn so einen aggressiven Hund hätte, weil ich ausgewichen bin.

Auch hier ging ich nicht auf eine Diskussion ein und entschied mich nach vorne zu blicken, weil ich wusste, dass es nichts bringen würde.
Keine 100m weiter die nächsten ohne Leine - diesmal 4 "ältere" Individuen - 2 Menschen und 2 Hunde. Ich habe keinen Hörtest mit ihnen gemacht, aber ich vermute, dass alle eingeschränkt waren. Warum? Weil ich darum bat, dass die Hunde gesichert werden sollten, sodass sie nicht in uns hineinlaufen. Zuerst wurde mein Hilferuf total ignoriert, und nach dem ich zu winken begann, versuchten die Besitzer zwar die Hunde zu rufen, dies kamen allerdings nicht zu ihnen zurück ... Ich wich also wieder in einem Bogen aus und ging weiter - die Hunde mit uns... sie bellten und umkreisten uns... ich ging dennoch weiter und hatte meine Fokus nach vorne gerichtet. Ich sprach zum Buben: "Wir machen das, kannst dich drauf verlassen!"
Irgendwann dann, ließen dann die Hunde von uns ab und liefen dann doch wieder zu den Besitzern zurück...
Ja ich muss ehrlich gestehen, zu diesem Zeitpunkt war ich nervlich echt schon etwas müde und ich freute mich schon auf unser Auto.
Der Spaziergang war aber noch nicht zu Ende, denn zum Schluss kam uns noch ein Mann mit 2 freilaufenden Hunden entgegen. Auch dieser blaffte mich an, nachdem ich höflich fragte, ob er sie zu sich rufen könne - sie waren zu diesem Zeitpunkt schon in Jonnys unmittelbarer Nähe. Ich soll mich doch mit meinem Agro Hund in Luft auflösen, wenn mir etwas nicht passt.
Also krabbelte ich wieder über die Böschung mit meterhohem Gras und ging somit einer weiteren - zu nichts führenden - Diskussion aus dem Weg.

Ich muss jetzt einmal festhalten, dass Jonny die ganze Zeit über ruhig war, keine Haare aufstellte, nicht angespannt war, an lockerer Leine lief und absolut kein "Agro" Verhalten zeigte. Ich spürte ihn so unglaublich stark, wie er sich jedes Mal bei mir bedankte, dass ich für ihn und für uns die Situation managte und für Sicherheit und Raum sorgte.
Beim Auto angekommen, musste ich erst einmal tief durchatmen, denn ich war von sehr vielen Gefühlen überflutet. Es waren einfach zu viele Begegnungen - nicht für den Buben - für mich! Ich war enttäuscht von den Menschen und ihrer Rücksichtslosigkeit - mir und Jonny gegenüber aber auch ihren eigenen Hunden gegenüber. Die wenigsten nahmen ihr Gegenüber wahr und zeigten höfliches Verhalten.

Aber es waren nicht alle Hundebegegnungen so! Auch das gehört gesagt, denn es waren auch immer wieder zwischendrin Hundebesitzer dabei, die ihre Hunde zu sich riefen und uns höflich vorbei gehen ließen.
Die Frage, die in meinen Gedanken hängen geblieben ist:
"Sind wir es bzw. bin ich es denn nicht "immer" wert, dass auf mich bzw. auf uns Rücksicht genommen wird?" Jedes Lebewesen hat seine eigene Individualdistanz und ein wirklich aufmerksamer und höflicher Mensch gewährt diese auch seinem Gegenüber. Ist das denn echt zu viel verlangt?

Ich will mit diesen Gedanken keinesfalls eine Grundsatzdiskussion starten. Nein vielmehr möchte ich einen Denkanstoß verbreiten, wir wir alle die Welt höflicher, respektvoller, rücksichtsvoller und netter gestalten können - Für uns und unsere Hunde 😉

"Ausweichen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine wunderbare Möglichkeit für eine souveräne und sichere Führung, wo sich der eine auf den anderen verlassen kann!"
Liebe Grüße
Sigrid Fitzinger