Die Ecke

Im Anschluss an unser übliches Morgenritual zuhause, es war ca. 5.20Uhr, machte mich entspannt und noch etwas verschlafen mit unserem Buben auf, zu unserem Morgenspaziergang. Ich ging die ersten 50Meter und kam zu unserer „Lieblings- Ecke“, wie jeden Tag. Diese Stelle ist schlecht einzusehen und wenn jemand von der anderen Seite kommt, verschwindet dieser für einen kurzen Moment darin.

Wer mich kennt weiß wie vorausschauend ich „normalerweise“ spazieren gehe. Ich achte auf die passenden Abstände, wechsle die Straßenseite und sorge für die richtige Erregungslage, sodass es allen Beteiligten gut geht.

Natürlich hätte ich die Ecke auch meiden oder ihr ausweichen können, da aber normalerweise um diese Zeit noch fast niemand unterwegs ist, entschied ich mich für den direkten Weg…

Ja, normalerweise 😉

Als ich nun dorthin kam, war es auch schon geschehen. Ein Mann stand plötzlich mit seinem Hund keine 2 Meter vor mir und beide guckten mich verdutzt an. In diesem Moment schien die Zeit still zu stehen. Ich erschrak und so auch Jonny, da ich die Leine reflexartig zu mir zog. Er begann lauthals zu bellen und die Haare standen ihm zu Berge.

Plötzlich war ich mittendrin statt nur dabei – also was tun?

Da stand ich nun und hielt meinen bellenden Tasmanischen Teufel an der straffen Leine. Ich holte kommentarlos die Leine ein und begann zu zählen, konzentrierte mich auf Jonny und meine Atmung und sagte zu uns beiden:“ Es ist gut, wir machen das gemeinsam. Ich bin ja da.“

„Irgendwann“ entschied sich dann der Mann dann doch mit seinem nur leicht erregten Hund dafür weiterzugehen. Dieses Zeitfenster kam mir ewig vor 😉

Als der Weg wieder frei war, ließ ich sofort die Leine wieder lockerer, begann zu lächeln und sagte zu Jonny „Toll gemacht, lass nun auch uns weitergehen.“ Bereits auf der anderen Straßenseite, war für Jonny alles vergessen und wir schlenderten weiter gemütlich unsere Morgenrunde.

Die ganze Situation dauerte keine 30 Sekunden!

Kennt ihr die Zeilen von Viktor Frankl: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“

Früher hätte ich geschrien, mich aufgeregt, wäre panisch geworden, hätte an der Leine herumgezerrt, mich bzw. das Verhalten von Jonny gerechtfertigt, usw.

Heute aber wählte ich als Reaktion bewusst das Stehenbleiben und Atmen, das „Bei-mir-bleiben“, das Sortieren und Erden. Ich nutzte die 30 Sekunden um mir einen Plan zu machen, anstelle den Fokus auf Wut, Angst und Hass zu legen. Ich habe gewählt, reagiert und mich entwickelt 😉 Ach, was für ein wunderbarer Start in den Tag.

P.S. Ihr habt immer die Wahl, wenn ihr das nächste Mal in eine „eurer Ecken“ kommt 😉
LG eure Sigrid